Hitchcock ist Kindergeburtstag
Ja, es gab schon Tage, an denen die jungen Damen des SSV spielerich stärker geglänzt haben. Aber garantiert sehr wenige, wenn überhaupt, die spannender und nervenaufreibender verliefen. Ein derartiges Zittern, Daumendrücken, Beten, Nägelkauen und Fetischbeschwören ist eigentlich nicht vorstellbar.
Aber der Reihe nach.
Nachdem der eigentliche Austragungsort, die IGMH Mannheim, sich halbwegs kurzfristig in eine Reise nach Pforzheim geändert hatte, schwante dem ein oder anderen schon Unangenehmes, bedeutete dies doch, dass viele Fans und Schlachtenbummler, die zu diesem „Highlight“ als Stimmungsmacher organisiert worden waren, wegfallen würden. Und so machten sich am Morgen des 15.2. die wackere Schar von Spielerinnen, Coach, Eltern und engstem Jubelstamm, insgesamt etwa 25-30 Personen, um 7:45 Uhr auf den Weg an den badischen Schwarzwaldrand.
Die zunächst primär von Coach Ute ausgegebene Aufgabe: Die müden Knochen nach der durch den niederländischen Ferienbeginn stark verlangsamte Anreise möglichst schnell in Schwung zu bringen, kam doch erschwerdend hinzu, dass am Vorabend weite Teile der Mannschaft auf einem Schulball geholfen und gefeiert hatten. Doch es war zu spüren: Die Mannschaft hatte scih für diesen Tag etwas vorgenommen, stand doch für die beiden erstplazierten Teams die Qualifikation zur Süddeutschen Meisterschaft als Anreiz.
Erstes geplantes Opfer stellte dabei der VC Eppingen dar, den mann schon am ersten Verbandsligaspieltag deutlich dominiert hatte. Beseelt von dieser Erinnerung legte man zwar euphorisch einen blitzsauberen Satzbeginn hin, war dann aber doch recht erstaunt, als man sich 20 Minuten später einem 0:1 Satzrückstand gegenübersah. Damit hatte dann doch niemand gerechnet. In leicht veränderter Aufstellung konnte man dann im zweiten Satz recht deutlich den Ausgleich erspielen, nur um im dritten und entscheidenden Durchgang wieder in Rückstand zu geraten. Dieser war zwar nie dramatisch, führte aber doch zu einem bis zum Ende recht mulmigen Gefühl, ob der so zwingend nötige Sieg erkämpft werden könnte. Dank eines konzentrierten Endspurtes rettete man sich schließlich mit einem 15:13 ins Ziel. Nochmal dem frühzeitigen Quali-Aus von der Schippe gesprungen!
Showdown-Time in Pforzheim: Die im Vorfeld zum wichtigsten Spiel des Tages erklärte Begegnung gegen den Lokalrivalen VSG Mannheim stand an. Bisherige Bilanz im diesjährigen Wettbewerb – 2:1 für den SSV. Doch was sind Statistiken an einem solchen Tag schon wert?
Was folgte, war die spielerisch beste Phase des SSV. Ein ums andere Mal konnte sich der Angriff, basierend auf guter Annahme und konzentriertem Aufbau, mit druckvollen Schlägen durchsetzen. Und so war es nur die logische Folge, dass der erste Satz mit 25:15 eine deutliche Beute des SSV-Rudels wurde. Wer nun dachte, es könne sich bequem zurückgelehnt werden, war definitiv auf dem Holzweg – und zwar komplett. Wie vom vor der Halle herabprasselnde Regen weggespült, klappte nun nahezu nichts mehr. Unsichere Annahmen, leichte Fehler im Spiel und dazu noch schwindendes Selbstvertrauen führten zu einem ebenso deutlichen Satzverlust mit 11:25.
Tiebreak-Zeit also mal wieder, die Stimmung auf dem Siedepunkt. Es wurde angefeuert, geflucht und zweifelhafte Schiedsrichterentscheidungen mit soviel Herzblut und Vehemenz quittiert, dass sogar eine Ermahnung des ungenannten Authors dieser Zeilen durch den Ausrichter erfolgte, man möge sich doch etwas weniger laut äußern. Emotionen pur!
Und abermals erwischte der Gegner den besseren Start. Genau wie im ersten Spiel, lief man erneut einem Rückstand hinterher. Ernüchternder Zwischenstand – 7:13. Doch wieder einmal zeigten die entschlossenen Mädels ihre in diesem Jahr neu erarbeitete Qualität und erkämpten über ein 11:14 den ohrenbetäubend gefeierten 14:14 Ausgleich. Es schien alles möglich, hatte man doch nun den psychologischen Vorteil auf seiner Seite. Leider ist das Schicksal zuweilen ungerecht und so genügte ein kurzes Abstimmungsproblem in der Annahme sowie eine gute Aktion des Gegeners, um das vermeindliche Ende aller südeutschen Meisterschaftsteilnahmeträume zu besiegeln.
Totale Enttäuschung und lähmende Frustration sowohl bei Spielern als auch beim gesamten Anhang. Dies beschreibt wohl am treffensten die Stimmung, die sich breitzumachen drohte.
Und auch bei Headcoach Ute hinterließ das eben Erlebte Spuren – kurzfristig war der Kreislauf weg, so dass Volker, seines Zeichen Trainer der 1. SSV Damenmannschaft für ein Spiel einspringen musste.
Doch überraschend schnell wurde erneut der Fokus gefunden und ein neues Ziel definiert: Abhaken des Passierten, die ausstehenden 2 Spiele gewinnen und schauen, was dann noch drin ist.
Gesagt, getan. Ohne Pause wurde der nächste Kontrahent in grimmiger Entschlossenheit auf dem Spielfeld begrüßt – die ebenfalls schon aus dem Rundenverlauf bekannten Spielerinnen der TSG Rohrbach. Und endlich einmal reichte auch eine „nur durchschnittlich“ gute Leistung, um das Spiel nicht dominierend, aber doch deutlich zu gestalten. Satz 1 stellte dabei gar kein Problem dar, im zweiten war das Ergebnis zwar nicht ganz so klar, aber dennoch nie wirklich in Gefahr – 25:13, 25:20. Genauso routiniert wurde dies auch zur Kenntnis genommen. Gibt es ein besseres Indiz dafür,
in welchem Maße sich die Selbstwahrnehmung und der Leistungsstand dieser erstaunlichen jungen Mannschaft mittlerweile entwickelt haben.
Zum ersten und einzigen Mal stand eine Spielpause an, in der es galt, für die beiden stattfindenden Partien das Schiedsgericht zu stellen.
Und dann war es soweit – alles war angerichtet für das große Finale: SSV gegen Brötzingen!
Nachdem am letzten Spieltag ein grandioser Sieg gegen diesen zu Rundenbeginn noch als übermächtig eingeschätzten Gegner eingefahren werden konnte, waren alle gewillt, dies erneut zu bestätigen. Gänsehautstimmung also von Anfang an, denn die Rahmenbedingungen waren klar: Wollte man sich die letzte Minimalchance auf die Qualifikation wahren, musste ein Sieg her! Zudem wollte man den Favoriten zu gerne in der eigenen Halle ärgern.
Man merkte den Randschwarzwäldern an, dass sie an diesem Tage noch keine Satz verloren und auch die VSG im Spiel zuvor deutlich beherrscht hatten. Äußerst souverän waren die Aktionen und angetrieben von einer tollen Zuspielerin, gelang auch nahezu jeder Angriff. Fast konnten die SSV Mädels einem leid tun, verpufften doch alle Anstrengungen weitestgehnd ohne den verdienten Erfolg. Und so stand nach nicht einmal 20 Minuten ein ernüchterndes 14:25 auf den Anzeigetafeln. Doch was auch immer dann geschah, es war der Augenblick, an dem die Normalität endete!
Auf einmal war sie da, die Magie des Willens, des Unplanbaren. Angepeitscht von nun völlig entfesselten Fans zeigten die SSV’lerinnen ihr kämpferischstes Gesicht.
Kein Ball wurde aufgegeben, kein Aufschlag leichtfertig verhauen. Mit einer genialen Mischung aus Risiko und Kontrolle spielten sie die Hausherrinen geradezu an die Wand.
Auch die mittlerweile dazugestoßenen VSG Spielerinnen, die sich lautstark auf die Seite von Brötzingen geschlagen hatten, konnten nur entsetzt feststellen, was der SSV zu leisten im Stande ist, wenn alle Faktoren passen. Nach einem für Brötzungen fast schmeichelhaften 25:19 im zweiten Satz, ging es mal wieder in den alles entscheidenen Tiebreak.
Und wie hätte es anders sein können, man erlebte ein Deja Vu. Brötzingen zog trotz sehenwerter Aktionen und Ballwechsel langsam aber stetig davon. Nach einem 5:8 zum Seitenwechsel, stand es schließlich 10:14 und Brötzingen hatte Matchbälle.
Waren es die Nerven, oder die nie nachlassende Fanpower? Der gegnerische Aufschlag segelte ins Netz und das Wunder geschah: Mit wahnwitziger Nervenstärke und aberwitzigem Kampfgeist holten sich die Heroinen des Tages sechs Punkte in Folge und damit unter trommelfellgefährdendem und Pforzheim-erschütterndem Jubel den unfaßbar verdienten Spielgewinn.
Doch was, außer dem Gefühl, ein schon sicher verloren geglaubtes Spiel noch gedreht zu haben, war das Ganze nun wert. Würde es reichen, die völlig konsternierten VSG’lerinnen noch auf der Ziellinie abzufangen?
Bange Minuten des Wartens. Und dann: Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa! Es hatte gereicht.
Mit der Winzigkeit eines mehr gewonnenen Satzes hatte man Platz 2 und somit die Qualifikation zur Süddeutschen Meisterschaft geschafft. Wahnsinn!!!
Was bleibt von diesem Tag? Neben der Dauerüberlastung von Herz und Nerven bei den Fans, kann es fast nicht in Worten ausgedrückt werden, welche Emotionen durchlebt wurden, welch Mechanismen greifen, um eigentlich Unmögliches noch möglich zu machen. Aber es wurde geschafft.
Und so bleibt dann am Ende des Tages nur die folgende Tatsache: Glückwunsch, Respekt und Danke, Mädels, Ihr habt wahrlich Großes geleistet heute – und auf zur Süddeutschen Meisterschaft!!!