Der andere Blick
Das war sie nun also, die Saison unserer U14 ist mit dem großen Finale, der Teilnahme an den Süddeutschen Meisterschaften gestern glanzvoll zu Ende gegangen. Ein langer und anstrengender Tag für alle Beteiligten – ein etwas persönlicher Blick hinter die Kulissen dieses Tages.
Es beginnt in aller Herrgottsfrühe, als sich um halb acht fünf müde Spielerinnen, ein Trainer und acht Eltern auf den Weg nach Mutlangen machen. Verkehrstechnik nicht gerade optimal gelegen, wollen die ersten beiden Stunden des Tages im Auto verbracht werden, teilweise schlafend, teilweise aber auch voller Vorfreude auf das große Turnier.
„Nur die Besten kommen nach Mutlangen“ hatte der Ausrichter das Motto für die Veranstaltung vorgegeben. Toll aufgemachte Plakate waren schon vor fast zwei Wochen per Post zu uns gekommen: darauf zu sehen die Logos der neun Teilnehmer und der Termin: Samstag 17. März 2012 – das Datum, auf das alle zufiebern.
Die Fahrt durch malerische kleine Dörfchen will fast kein Ende nehmen, doch spätestens am Ortseingang von Mutlangen sind alle wieder voll bei der Sache: an allen Straßen hinein nach Mutlangen hat der Ausrichter riesige Banner anbringen lassen, auf denen die Teilnehmer bereits am Ortseingang zur Meisterschaft begrüßt werden. Der Rahmen war also perfekt vorbereitet. Das wird auch sofort bei Betreten der wunderschönen Heidehalle kurz nach halb zehn bewusst. Eine tolle Veranstaltung wartet hier auf die neun Mannschaften.
Jedes noch so winzige Detail ist bestens organisiert. Es gibt Flyer mit dem Modus des Turniers und einem Foto jeder der neun teilnehmenden Mannschaften und in der Nähe des Verpflegungsbereichs hängt eine übergroße Karte Baden-Württembergs, auf der der Heimatort aller Teilnehmer ebenfalls mit einem Foto der Mannschaft markiert sind. Eine tolle Idee.
Die Uhr in der Halle zeigt inzwischen auf kurz nach halb elf, als der feierliche Einlauf der Mannschaften zelebriert wird. Unter dem Beifall der Zuschauer wird Mannschaft für Mannschaft begrüßt und dabei alle Spielerinnen namentlich aufgerufen. Der Bürgermeister Mutlangens lässt sich die Chance nicht nehmen, die Mädchen zu begrüßen, doch seine nett gemeinten Worte kommen nur bei den wenigsten der 12 bis 13-jährigen Mädchen wirklich an – sie wollen jetzt nur noch eines: Volleyball spielen.
Auch auf der Zuschauertribüne steigt die Vorfreude, aber auch die Erwartungen. Wenn man schon mal hier ist, wird man doch sicher auch ein paar Spiele gewinnen. Dass man an diesem Tag auf die wirklich Besten trifft und jeder einzelne Sieg schon Bonus für den SSV ist, wird da schnell vergessen.
Eine Vuvuzela ist auch mit im Gepäck und wird an diesem Tag nicht nur die SSV-Mädchen anfeuern, sondern auch den einen oder anderen Zuschauer an den Rande des Wahnsinns treiben. Aber das bleibt eine Randnotiz, denn pünktlich um elf endlich geht das Turnier los.Zuerst stellt der SSV das Schiedsgericht bei der Partie Mutlangen gegen Denzlingen, ehe es um kurz vor zwölf erstmals auf dem Feld um eigene Punkte geht. Es ist ein zäher Auftakt. Es fehlt die Lockerheit, die Nervosität macht jede Bewegung schwer. Zum Glück hatte man im ersten Spiel schon gesehen, dass Denzlingen eine machbare Aufgabe ist. Endlich kommt etwas mehr Schwung in die Mannschaft. Es ist zwar kein glanzvoller Sieg, aber ein nie gefährdeter und das trotz katastrophaler Aufschlagsstatistik!
Auf der Tribüne sehen sich die Optimisten bestätigt: heute geht was! Jetzt noch Mutlangen schlagen und dann als Gruppenerster in die Zwischenrunde gehen. Die Erwartungen steigen also weiter. Dabei ist es absehbar, dass diese Serie sich kaum halten lässt – Mutlangen ist einer der großen Favoriten auf den Turniersieg und so spielt die Mannschaft auch.
Für mich als Trainer ist es spannend zu sehen, wie die SSV-Mädchen ins Spiel gehen. Mit viel Respekt oder gleich mit vollem Elan? Es ist weder das eine, noch das andere. Die Mannschaft hat trotz ihrer jungen Jahre schon viel Erfahrung und verfällt selbst gegen Spitzenteams nicht in Schockstarre. Aber es ist auch nicht der Schwung des letzten Verbandsliga-Spieltags, den man entfalten kann. Die Mannschaft sucht nach ihrem Spiel, nach ihrer Bestleistung – die wäre nun nötig, um Mutlangen in Bedrängnis zu bringen. Dazu kommt natürlich auch ein Gegner, der selbst kaum Fehler produziert und jede sich bietende Schwäche beim SSV gnadenlos ausnutzt. Es sind solche Spiele, aus denen man viel lernen kann. Meine Mädels geben wirklich ihr bestes, doch es reicht nicht.
Egal. Die Zwischenrunde ist geschafft und jetzt kann diesen Tag erst recht nichts mehr zum Misserfolg machen. Klar, gewinnt man dieses eine Spiel, spielt man um die ersten drei Plätze. So nah dran war man noch nie. Kein Wunder, dass da so manche Träume aufkommen. Es ist bereits halb drei, als die ersten Bälle gespielt werden. Es ist das beste SSV-Spiel des Tages. Trotz anhaltender Probleme mit dem Aufschlag zeigen die Mädels, was sie gerade in den letzten Wochen gelernt haben. Da sind ein paar blitzsaubere Angriffe mit dabei und schon zeigt auch der VC Stuttgart, dass sie Schwächen haben. Vielleicht kommt die Meisterschaft ein paar Wochen zu früh, vielleicht hätte man dann die Aktionen noch etwas konstanter spielen können. Aber so ist es nun mal: man gibt sein Bestes und hofft, dass es für einen Sieg reicht. Das tut es heute leider nicht.
Jetzt müsste man in der Lage sein und die Sache mit Abstand betrachten. Was ist da gerade passiert? Man hat bei der Süddeutschen Meisterschaft gegen den späteren Sieger denkbar knapp mit 19:25 und 20:25 verloren und spielt jetzt „nur noch“ um die Plätze 4 bis 6. Hätte das jemand vor der Saison gesagt, wäre das ins Reich der Sagen verbannt worden. Und jetzt? Sitzt da ein Häufchen Elend und trauert um die vergebene Chance. Ja, es war knapp und mit ein bisschen mehr Glück wäre die ganz große Sensation vielleicht sogar möglich gewesen. Das interessiert aber in diesem Moment niemand.
Und auch auf der Tribüne macht sich Ernüchterung breit. Und statt getröstet zu werden, muss sich so manche Spielerin noch im Nachgang ein paar kritische Worte anhören. Nicht nur die Leistung der Mädchen ist gestiegen, auch die Erwartungen.
Es ist eine Art Ironie des Schicksals – oder auch ein Zeichen der unterschiedlichen Niveaus in den Verbänden -, dass nach über vier Stunden Turnier am Ende die drei Teams aus Württemberg die Plätze 1 bis 3 ausspielen, Nordbadens Vertreter die Plätze 4, 5 und 6 und Südbaden die drei letzten Plätze. Es ist auch etwas schade, weil es gerade den Reiz dieser Veranstaltungen ausmacht, gegen Vertreter anderer Verbände anzutreten.
Brötzingen und Eppingen sollen also nochmal die Gegner heißen. Beide kennt man aus den vergangenen drei Jahren bestens, mit Brötzingen verbindet der SSV gar eine feste Freundschaft.
Ein Blick in die Augen meiner Spielerinnen verheißt mir als Trainer zudem nichts Gutes: das Feuer fehlt ein wenig. Ist es der lange Tag, der allmählich seine Opfer fordert? Oder die nicht überwundene Enttäuschung aus den vorherigen Matches? Alle Motivationskünste helfen nichts. Das Spiel des SSV ist zwar nicht schlecht. Das kann man nicht sagen. Aber es fehlt fast immer dieser eine kleine letzte Schritt, die letzte Frische, die letzte Konzentration und auch die letzte Überzeugung, noch etwas bewegen zu können. Ich kann meine Mädchen ein wenig verstehen und doch versuche ich alles. Doch der Akku ist leer.
Die Hallenuhr zeigt inzwischen exakt 20 Uhr. Die Medaillen an die Sieger sind vergeben, die Urkunden überreicht, die Präsente für alle Teams verteilt. Die Siegerehrung ist fast schon vorbei. Alle Teams stellen sich ein letztes Mal zum Abschlussfoto auf. Eine große und tolle Veranstaltung steht kurz vor ihrem Ende. Auch bei den Preisen hat der Ausrichter sich nicht lumpen lassen und setzt damit ein letztes I-Tüpfelchen auf ein perfekt organisiertes Turnier. Kader-Trainer Lichtenauer, der die Siegerehrung durchführt, macht die Sieger vom VC Stuttgart darauf aufmerksam, dass sie Anfang Mai eine längere Anreise haben würden, wenn es für sie zur Deutschen Meisterschaft geht.
Die Preise waren unter den Mädels schnell verteilt, ich bekomme die Urkunde.
Eigentlich hatte es im Vorfeld geheißen, das Turnier ende gegen 18 Uhr. So war die Idee entstanden, noch in Mutlangen in einer Pizzeria den Tag ausklingen zu lassen. Doch nun zeigt die Uhr bereits bedrohlich auf 20:30, bis der SSV-Tross seinen reservierten Platz in einer kleinen, aber feinen Pizzeria belegt. Die Stimmung ist inzwischen wieder gestiegen. Die ersten begreifen, welch tollen Erfolg man gefeiert hat. Nur unsere Berfin verfolgt das Gespräch mit etwas bitterem Beigeschmack. Ausgerechnet im letzten Spiel hatte sie sich eine Verletzung am Sprunggelenk geholt. Hoffen wir, dass es nicht Schlimmes ist.
Fünf Mädchen hatten die Fahrt nach Mutlangen mitgemacht und acht Elternteile mit dazu. Keine war ohne mindestens ein Elternteil auf die Ostalb gefahren. Es ist eine tolle Gemeinschaft auch unter den Eltern, die sich da in den letzten drei Jahren gebildet hat. Man erinnert sich an eine schlaflose Nacht beim Regionalspielfest in Konstanz vor zwei Jahren und anderen Erlebnissen, die man durch die Kinder erlebt hat. Jetzt sind alle wieder Eltern und einfach nur stolz auf ihre Mädchen.
Die Pizzen schmecken sehr lecker, sind für einige aber etwas zu groß. So manche Spielerin schläft fast schon am Tisch ein – es wird Zeit für die Heimreise.
22 Uhr – irgendwo in der Nähe von Mutlangen. Die große Verabschiedung. Es war ein toller Tag gewesen. Jetzt noch zwei Stunden Autofahrt, dieses Mal fährt der Papa von Carola vor – er hat (angeblich) ein besseres Navi. Das schützt uns dann doch nicht vor einem kurzen Umweg kurz vor Auffahrt auf die A81, aber davon bekommen die meisten Mädels ohnehin nichts mehr mit. Sie schlafen längst tief und fest auf dem Rücksitz.
Es ist kurz nach Mitternacht, als auch ich endlich nach Hause komme. 16 1/2 Stunden nach der Abfahrt. Ich hole noch meine Tasche aus dem Auto und da fällt mein Blick auf die Urkunde. Darauf steht: „Bei den Süddeutschen Meisterschaften der U14 weiblich am 17.03.2012 in Mutlangen errang der SSV Vogelstang den 6. Platz“. Dafür und für meine Mädels hat sich mal wieder alles gelohnt!